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Klimaneutrales Rocken


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aus der Märkischen Allgemeinen vom 27. November 2009

UMWELT: Klimaneutrales Rocken
Trotz Krise macht sich die Musikbranche Gedanken über Co2-Emissionen

POTSDAM – Moby ist ein Popstar, wie er im Buche vom umweltbewussten Leben steht. Er fährt nicht Auto, ernährt sich vegan, wohnt in einer Wohnung, statt in einem Haus und im Job versucht er, die Kohlenstoffemissionen seiner Konzerte auszugleichen. Im August trat der New Yorker Elektropopper im Rahmen der von der EU und MTV organisierten Kampagne „Play To Stop – Europe For Climate“ in Stockholm auf. Sie versucht das Bewusstsein der europäischen Jugendlichen für den Klimawandel zu schärfen. The Editors gastierten aus dem Anlass jüngst in Budapest und die Backstreet Boys werden am 7. Dezember, zeitgleich mit der Eröffnung des UN-Weltklimagipfels, in Kopenhagen ein Konzert geben.

Es sind keineswegs die einzigen Musikstars, die sich für mehr Klimaschutz einsetzen. Nur fällt es bei vielen anderen weniger auf. Als Farin Urlaub dieses Jahr auf Deutschlandtour war, haben vermutlich nicht alle Besucher mitbekommen, dass sie Teil eines klimaneutralen Konzerts gewesen sind: 50 Cent pro Ticket gingen direkt in die Aufforstung von neuem Tropenwald zur CO2-Bindung. Andere Bands wie Juli und Fury in the Slaughterhouse sorgen ebenfalls dafür, dass unvermeidliche CO2-Emissionen unter Mithilfe der Organisation Co2oL klimaneutralisiert werden. Co2oL, die sich selbst als Lösungsanbieter klimafreundlicher Produkte und Veranstaltungen bezeichnen, informierte jüngst, dass die Schwelle von einer Million verkaufter Tickets für klimaneutrale Konzerte überschritten wurde. Im Gegenzug wurden mehr als 20 000 Bäume in Panama gepflanzt, die rund 25 000 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre kompensieren.

Dass Klimaschutz und Konzertspaß kein Widerspruch sein müssen, hat sich inzwischen auch in der Musikbranche herum gesprochen. Vor einigen Wochen diskutierten Klimaforscher, Greenpeace-Aktivisten und etliche Leute aus der Musikbranche sogar auf einer von der Green Music Initiative in Berlin veranstalteten Konferenz die Frage: Wie grün kann und soll die Branche werden? Das ist insofern beachtlich, als die von Umsatzrückgang gebeutelte Musikindustrie momentan eigentlich andere Sorgen haben dürfte. Sie muss selbst ums Überleben kämpfen. In dem Punkt geht es ihr ein bisschen wie dem Planeten Erde, vielleicht ist das ein Grund für das starke Interesse am Thema.

Zu denen, die nach neuen Allianzen im Klimaschutz rufen, gehört der Soziologe Fritz Reusswig vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. „Den Klimadiskurs dominieren Naturwissenschaftler, Ökonomen und Ingenieure für die Technologien. Der Lifestyle ist völlig unterbedient. An dem Punkt kommen wir bei der Musikindustrie an.“ Sie sei Teil der kreativen Klasse, die Leitbilder besetzen soll, um einen praktisch wirksamen Bewusstseinswandel zu ermöglichen. An dem könnten die Künstler mitwirken, nicht durch Songs, die vor der Klimakatastrophe Angst machten, sondern durch positive, keineswegs kitschige Zukunftsbilder. Allerdings dürften die Musiker zur Wahrung der Glaubwürdigkeit nicht instrumentalisiert werden.

Natürlich kann die Musikbranche auch einen direkten Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstoßes leisten. In Großbritannien gelang es der Organisation Julie’s Bicycle in den letzten zwei Jahren, Kooperationen mit den Konzertveranstaltern und CD-Produzenten zu entwickeln. Dadurch konnte der CO2-Fußabdruck insbesondere bei der An- und Abreise von Zuschauern sowie bei der CD-Herstellung (eine CD verursacht ein Kilogramm CO2) minimiert werden. Alison Tickell, Gründerin von Julie’s Bicycle, sieht Künstler als Vorbilder in doppelter Hinsicht gefragt. „Der Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung ist gewaltig, siehe Live Earth, aber große Worte reichen nicht. Ohne entsprechendes Handeln fehlt die Glaubwürdigkeit.“

Natürlich verfügen gerade Popstars über eine enorme Strahlwirkung auf das Publikum. Sie können helfen, jenen kulturellen Wandel zu bewirken, der laut den Wissenschaftlern notwendig ist, um eine echte Klimakatastrophe zu vermeiden. Der Forscher Reusswig mag vor allem eins an der Magie von Sound & Vision: „Musik ist Energie, Lebensenergie“, weil sie den direkten Zugang zum Lebensgefühl der Menschen schaffe. Um Strahlkraft und Klima-schutz zu verbinden, sollte ursprünglich auf der Popkomm 2009 erstmals ein Green Music Award verliehen werden. Daraus ist nichts geworden. Nun hoffen die Initiatoren, dass der Spezialpreis künftig im Rahmen der Echo-Verleihung vergeben werden könnte. (Von Gunnar Leue)